Warum auch wir über ADHS sprechen müssen…
Oder warum ADHS-Strategien allen Führungskräften helfen können – Impuls von Ulli Masztalerz, Coach, Kommunikationsberaterin & ADHS-Trainerin
„Auf einmal haben alle ADHS.“ Diesen Satz hört man immer wieder. Und gerade Unternehmen trifft er mit voller Wucht. Die Zahl der ADHS-Diagnosen bei Erwachsenen hat sich in Deutschland zwischen 2009 und 2014 verdoppelt. Auch neuere Krankenkassendaten bestätigen einen weiterhin steilen Trend. Wie viele Erwachsene tatsächlich betroffen sind, bleibt unklar, denn ADHS zeigt im Erwachsenenalter oft ein vollkommen anderes Gesicht als bei Kindern.
Doch Zahlen sind nur die Hälfte der Geschichte. Die andere Hälfte spielt sich in Büros, Werkstätten, Ladenlokalen und Besprechungsräumen ab: Immer mehr Geschäftsführende, Abteilungsleitungen und Teamverantwortliche leben mit ADHS. Sie bringen Wagemut, Ideenreichtum und große Menschenkenntnis mit in ihre Unternehmen – hinterlassen aber auch unerledigte Aufgaben, verpasste Termine und ratlose Mitarbeitende.
Genial & chaotisch – Fluch und Segen bei ADHS in der Führung
Wer mit ADHS führt, bringt oft große Stärken mit: Tonnenweise Begeisterungsfähigkeit, kreative Lösungen, sehr schnelles Denken und unendliches Verständnis für andere. Doch genau diese Eigenschaften können im Führungsalltag auch zu Problemen führen, vor allem dann, wenn klare Abläufe fehlen.
So entstehen ständig neue Ideen, doch bei der Weitergabe an Mitarbeitende fehlen häufig klare Anweisungen, realistische Zeitvorgaben oder nachvollziehbare Ziele. Präsenz und Engagement erscheinen wechselhaft und so kann auf einen nächtlichen Arbeitsschub am nächsten Morgen die absolute Funkstille folgen. Mitarbeitende erleben das als unberechenbar.
Auch in Besprechungen fällt es schwer, bei der Sache zu bleiben: Zwischen Telefonaten, Nachrichten und mehreren Aufgaben gleichzeitig gehen Vereinbarungen schnell verloren und werden später vergessen oder durch neue ersetzt. Kritik von außen löst bei Führungskräften mit ADHS nicht selten starke emotionale Reaktionen aus: Rückzug, Rechtfertigung oder plötzliche Kurswechsel. Und was mit viel Energie gestartet wurde, verliert an Schwung, wenn die nächste Idee lockt.
Diese Spannungen entstehen nicht aus bösem Willen. Sie sind Teil eines Nervensystems, das ständig in Bewegung ist und feste Strukturen als Halt braucht.
Führen mit ADHS – geht das überhaupt?
Und wie das geht. Denn aus der Herausforderung kann eine Stärke werden: Wer anders denkt, findet auch andere Wege, Verantwortung zu übernehmen. Viele Führungskräfte mit ADHS entwickeln im Lauf der Zeit ganz eigene Strategien: praktisch, kreativ, manchmal ungewöhnlich – aber wirkungsvoll.
Klar ist aber auch: Wer selbst oft unter Strom steht oder schnell überfordert ist, braucht funktionierende Abläufe. Und zwar für sich selbst wie für das Team.
Sechs praktische Werkzeuge für den Führungsalltag
Diese einfachen Methoden können helfen, im Führungsalltag klar, verlässlich und aufmerksam zu bleiben:
1. Schriftlich statt mündlich Jede Aufgabe wird schriftlich festgehalten, am besten kurz und klar: Was ist zu tun, wer ist zuständig, bis wann soll es erledigt sein und wie ist der Stand. Das schafft Klarheit.
2. Kurze tägliche Runde Ein tägliches 10 bis 15-minütiges Gespräch mit festen Fragen bringt Fokus: Was ist heute wichtig? Wo brauchst du Hilfe? Was wurde gestern abgeschlossen?
3. Aufträge bestätigen lassen Ein Auftrag gilt erst, wenn die Mitarbeitenden ihn in eigenen Worten, mündlich oder schriftlich, bestätigt haben. Das verhindert Missverständnisse.
4. In festen Zeitblöcken arbeiten Wer konzentriert arbeitet, vergisst oft die Zeit. Deshalb hilft ein einfacher Rhythmus: 80 Minuten arbeiten, 10 Minuten Pause. So bleibt der Kopf klar. Ein Wecker oder Timer reicht völlig.
5. Unterstützung organisieren – „Body Doubling“ Bei wichtigen Aufgaben oder Routinen hilft es, jemanden dabei zu haben – sei es die Assistenz, Kolleg:innen oder externe Beratende. Diese Methode nennt sich „Body Doubling“ und bedeutet einfach: Gemeinsam geht vieles leichter, auch wenn die andere Person nicht aktiv mithilft, sondern nur anwesend ist.
6. Bei starken Gefühlen innehalten Starke Emotionen? Erst wahrnehmen, dann dreimal durchatmen. Und die Antwort vertagen. Diese kleine Routine hilft, sachlich zu bleiben und Konflikte zu vermeiden.
Ein sicheres Arbeitsklima schaffen
Wo Fehler als Lernchance gelten und nicht als Versagen, entsteht Raum für Entwicklung. Das gilt für Mitarbeitende genauso wie für Führungskräfte. Diese sogenannte „psychologische Sicherheit“ ist besonders wichtig, wenn ADHS im Spiel ist, denn sie gibt allen Beteiligten die Gewissheit, dass Schwächen offen angesprochen werden dürfen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Der Schlüssel ist ein Betriebsklima, in dem Nachfragen ausdrücklich erwünscht sind. Nicht als Störung, sondern als Zeichen von Sorgfalt. Wenn für alle sichtbar ist, wie bei Problemen umgesteuert wird, dann schafft das Sicherheit. Ebenso wertvoll: ein kurzer, regelmäßiger Blick zurück auf das, was gut lief, und auf das, was noch verbessert werden kann. So wachsen Vertrauen und Struktur.
Mitarbeitende mit besonderen Bedürfnissen führen
Manche Mitarbeitende, besonders neurodivergente, denken, fühlen und arbeiten anders – und genau das ist ihr Potenzial. Wer sie führen will, muss diese Unterschiede nicht glätten, sondern verstehen. Gute Führung fragt nicht: „Warum machst du das so?“, sondern: „Wie kann ich dich unterstützen?“
Eine gute Strategie besteht aus ehrlichem Interesse statt Kontrolle und individuellen Lösungen statt Einheitsbrei. Manche brauchen feste Zeiten, andere flexible Arbeitszeiten. Manche arbeiten besser in Ruhe, andere brauchen enge Betreuung.
Allen hilft es, wenn Ergebnisse nach ihrer Wirkung beurteilt werden, anstatt nach dem Weg dorthin und wenn Arbeitsweisen gemeinsam abgestimmt werden. So entsteht ein Arbeitsumfeld, das sich an Stärken orientiert.
Wenn beide Seiten ADHS haben
Teilt eine Führungskraft ihre ADHS-Erfahrung, fühlen sich betroffene Mitarbeitende sofort verstanden. Gemeinsame Strategien für bessere Konzentration, Prioritäten setzen und flexible Arbeitsweisen können ungeahnte Energie freisetzen. Vorausgesetzt, beide Seiten sind ehrlich zu sich selbst. Sonst addiert sich das Chaos.
Führung, die am Ende allen hilft
Was als Lösung für ADHS-Probleme begann, entpuppt sich als gut für alle: schriftliche Aufträge, klare Ziele, kurze Abstimmungen und offen kommunizierte Erwartungen. Gute Führung macht keine Ausnahmen, sie funktioniert für jeden.
Klare Abläufe plus ein vertrauensvolles Arbeitsklima verwandeln vermeintliches ADHS-Chaos in Innovationskraft. Und davon profitieren alle – egal, wie sie ticken.
Wer ich bin – und was ich für Sie tun kann
Ulli Masztalerz | Coach, Kommunikationsberaterin & ADHS-Trainerin

Seit über mehr als 25 Jahren helfe ich Menschen und Unternehmen dabei, dass Kommunikation gelingt – besonders dort, wo unterschiedliche Gehirne aufeinandertreffen. Mein Fokus: Neurodiversität als Potenzial statt Problem. Als selbst Betroffene kenne ich beide Seiten.
Einzelcoaching für Führungskräfte, Teamworkshops, Veränderungsbegleitung – immer praxisnah und mit messbarer Wirkung.
Lust auf mehr Klarheit statt Chaos? 030 552 48 198 | 0160 844 9656 | u.masztalerz@gmail.com